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"Fake News" oder doch "alle Jahre wieder"?

Ein mal wieder etwas andere Business Weihnachtsgeschichte

Der Alte steht am lodernden Kaminfeuer und rührt im riesigen Kessel den duftenden roten Punsch. Dabei säuselt er sein Lieblingsgedicht: „Es blaut die Nacht. Die Sternlein blinken. Schneeflöcklein leise niedersinken. Auf Edeltännleins grünem Wipfel häuft sich ein kleiner weißer Zipfel…“ Da unterbricht ihn ein unerwarteter, spritzender Blubber aus dem Trog, so dass er schnell reagieren muss. In ungewohnter Manier ist er jetzt ganz „selbst der Mann“, stellt den Kessel vom Feuer und füllt seinen Trinkbottich voll bis an den Rand. Es kommt, wie es kommen muss: Beim wackeligen Gang zu seinem gemütlichen Lehnsessel verliert sein Gesöff an Volumen und verteilt sich kleckernd am Boden. Stirnrunzelnd knurrt er in seinen weißen Bart „auch das noch“, wo doch so viele Wichtel schon gekündigt haben. Na klar, bei ihm gibt es keine 4-Tage-Woche oder Homeoffice. Die Verlockungen der sozialen Hängematte haben das ihrige auch noch dazu beigetragen. Nein, da kann seine Branche nicht mithalten, hier sind Fachkräfte nötig, die Einsatz zeigen müssen, sonst kommt die Jahresauslieferung nicht pünktlich an. „Weihnachten wird nicht ausfallen!“, haben sich alle Brüder und Verwandten des Alten geschworen, als sie sich beim jährlichen Review im Wald getroffen hatten. Alle hatten ihm dabei versprochen, ihre Gedanken und Vorbereitungsmaßnahmen mitzuteilen.

Mit dem Blick auf den jetzt neben ihm stehenden Beistelltisch, auf dem viele rote Briefumschläge liegen, lässt er sich in seinen ausgeleierten Lehnsessel fallen und stellt den halbleeren Bottich mit seinem Lieblingsgesöff zwischen die Umschläge. Ein tiefer Seufzer der Zufriedenheit ist zu hören. Dabei schaut er, weit um sich blickend, durch das große Fenster auf den tief verschneiten Winterwald. Beim Review im Sommer gab es schon die ersten Anträge auf Rollen an den Schlitten, falls kein Schnee mehr kommt, naja, der Klimawandel. Die Einen denken, es geht wie immer, die Anderen wollen ohne Stress und Aufwand, dass alles umsonst ist. Die Opportunisten schreien „Basta“ und schalten die Knöpfe an und ab wie sie wollen. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht nimmt er nun genüsslich einen tiefen Schluck und greift sich nacheinander die Briefe. Er beginnt zu lesen…

Er liest von Sorgen, Wünschen, Träumen. Sie schreiben, die Welt ist im Wandel, es gibt auch Schreckliches, Kriege, Anschläge oder Anfeindungen. Santa Claus berichtet von Menschen, die sich nach Jahren der Enthaltsamkeit wegen des komischen Virus wieder nach Erlebnissen in Gemeinsamkeit sehnen. 

Von Knecht Ruprecht erfährt er, dass die junge Generation nur noch mit „NewBalance“ und nach „Wellbeing3.0“ arbeitet.  Fun ist in, was ist Leistung? Da soll es im Sport keine Ergebnisse mehr geben: „verlieren macht traurig, oooohh!“ Schulnoten sind auch doof! 

Julenissen dagegen unterstreicht die Bedeutung der Digitalisierung, die bei ihnen besonders weit ist. Jedes Schulkind lernt mit Tablett oder Schläptop. Dabei hat er aber große Sorgen wegen der „schättSchiPiTi“. Das spinnt zu oft und erzählt so einen Schwachsinn, welchen er sonst nur von den Geschichten aus holländischen Coffeeshops oder von Sinterklaas gehört hat. 

Père Noël macht sich Sorgen, ob er noch überall hinkommt, wo doch alle Wichtel jetzt mit den modernsten elektrischen Flugtaxis ausgestattet sind, die aber nicht zugelassen werden, nicht mal zu Olympia in Paris. 

Währenddessen beklagt Papa Noel die Armut, Ausbeutung und Kinderarbeit bei der Förderung von Lithium, dabei hätte doch mit Einführung des LKSG seitens der Europäer alles besser werden sollen... 

Als er den Brief von Väterchen Frost aufmacht, verlässt ihn die Neugier... dabei liegen doch noch so viele Botschaften vor ihm, bereit gelesen zu werden.
Starke Zweifel, Unmut und Verdruss machen sich breit in ihm. Wie kann er alle motivieren, die schönste Zeit des Jahres nicht aufzugeben? Den Glauben der Kinder, unserer Hoffnung, am Leben halten? Er blickt auf, legt seine Brille zur Seite und schaut in die dunkle Nacht hinaus. Die Tannen mit ihren glitzernden schneebedeckten Zweigen biegen sich im Wind. Die Gedanken schwirren in seinem Kopf in alle Richtungen. „Hohoho“ – brummt er nach einer Weile vor sich hin. „Ich hab’s!“ Steht auf, geht rüber zu seinem Schreibtisch und in fast schon hektischer Bewegung tippt er ein: „ChatGPT - Gibt es den Weihnachtsmann wirklich?“ … bing, in Sekundenschnelle die Antwort!

Ihm wird heiß! Dann wird er rot vor Zorn wegen des Satzfetzens „… ist eine Fantasiefigur“, aber nur wenige Sekunden später ist er mit dem Inhalt des fortlaufend Gelesenen ganz zufrieden. „Viele Menschen betrachten den Weihnachtsmann als eine symbolische und festliche Figur, die den Geist der Großzügigkeit und Freude verkörpert. In dieser Hinsicht ist der Weihnachtsmann eher eine kulturelle Tradition… in einem realen, physischen Sinne gibt es jedoch keine Beweise für die Existenz des Weihnachtsmanns als eine reale Person, die durch den Himmel fliegt und Geschenke verteilt,“ schreibt die künstliche Intelligenz-Maschine. 

Er nimmt seine dicke schwarze Feder in die Hand,  beginnt das Rundschreiben an alle mit den letzten gelesenen Zeilen der KI und gibt sich dabei mit seiner schönen Handschrift besonders viel Mühe. Zum Abschluss fügt ner och bestimmend hinzu „… und uns gibt es doch, basta!“ Sorgfältig wie immer faltet er auf seine Art das Schreiben zusammen und als er dann noch das heiße Siegel auf den Umschlag drückt, kommen ihm beschwingt die letzten Zeilen seines Lieblingsgedichtes von Loriot ganz geschmeidig von den Lippen:

„Die Silberschellen klingen leise. Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise. Im Försterhaus die Kerze brennt. Ein Sternlein blinkt: Es ist Advent.“

Ein Helferlein vom Weihnachtsmann
Steffen Schaar