Trends - Legal

Was uns am meisten bewegt, das ist die Digitalisierung, das ist Legal Tech

Die Digitalisierung krempelt gerade alles um


Trendsetter im Gespräch
Interview mit Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach, Geschäftsführerin des BUJ – Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V., zu den Chancen der Digitalisierung, den Möglichkeiten von LegalTech Produkten und der Rolle des BUJ in diesem Zusammenhang.

Veröffenlicht in: DiALOG - DAS MAGAZIN FÜR ENTERPRISE INFORMATION MANAGEMENT | MÄRZ 2017

Steffen Schaar: Die Erfolgsgeschichte des BUJ würde ich heute in einer Formel beschreiben:
( 5 + x ) & ( 2000 + y ) = erfolgreiche Verbandsarbeit im BUJ. Frau Ebner bitte verraten Sie uns mehr über die Entstehungsgeschichte, die Ziele und das rasante Wachstum.

Frau Ebner: Über den BUJ spreche ich ganz besonders gerne. Ich bin Geschäftsführerin des Verbandes und arbeite sehr eng mit dem Präsidium zusammen, um die Ziele des BUJ voranzutreiben. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit ist es, die rechtlichen Angelegenheiten des Verbandes zu beraten. Zudem bin ich in Berlin für die rechtspolitischen und berufspolitischen Angelegenheiten verantwortlich.Wir kümmern uns sehr stark um all die Themen, die Unternehmensjuristen bewegen, insbesondere das Berufsrecht, die Digitalisierung und LegalTech.

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Die Entwicklung des BUJ ist extrem rasant voran gegangen, um dieses Berufsbild zu prägen und das Syndikusrechtsanwaltsgesetz ins Leben zu rufen. Wir sind inzwischen im Verband rund 2.300 Mitglieder, aus knapp 1.200 Unternehmen mit 28 von 30 DAX Unternehmen, Hidden Champions bis zur ganz kleinen Rechtsabteilung, ein ganz breites Spektrum. Der Verband wurde am 11.03.2011 gegründet, um die Berufsrechtssituation, die Gleichstellung der Unternehmensjuristen, der Syndizi mit den selbstständigen und bei anwaltlichen Arbeitgebern angestellten Rechtsanwälten voranzutreiben und mitzugestalten.
Bis zu dem Zeitpunkt war es nämlich so, dass der BGH von der Doppelberufstheorie ausgegangen ist. Danach arbeiteten wir Unternehmensjuristen auf der einen Seite als niedergelassene Anwälte und auf der anderen Seite im Unternehmen. Die Diskussion gab es schon sehr lange und es ging nicht voran. Frau Leutheusser- Schnarrenberger sagte damals: Wenn sich der BUJ, die BRAK und der DAV einig sind, wie das Berufsbild des Unternehmensjuristen aussehen kann, dann können sie wieder kommen, dann mache ich was für sie. Es passierte aber nichts. Es waren immer noch zu große Differenzen da. Dann kamen die Urteile des Bundessozialgerichtes, die als richtiger Katalysator gewirkt haben. Die Dynamik, die sich entwickelte, verhalf uns – gemeinsam mit anderen Verbänden – das Gesetz mit auf den Weg zu bringen. Vor allem, weil wir als Experten viele Gespräche mit der Politik geführt haben, um die berufsrechtliche Gleichstellung zu erreichen. Am Ende hat der BUJ eine weitgehend berufsrechtliche Gleichstellung durch das Gesetz erreicht.

Steffen Schaar: Das Berufsrecht ist, wie wir alle lesen konnten, geklärt – also Haken dran und weiter?

Frau Ebner: Nein, einen Haken kann man noch nicht dranmachen. Es ist nun ganz besonders interessant. Wir haben eine weitgehende Gleichstellung mit dem Gesetz erreicht. Die Arbeit in der Umsetzung und Zulassungen kommt erst jetzt richtig in Fahrt. Da gibt es einige Rechtsanwaltskammern, die das sehr progressiv angehen, andere nicht. Daneben haben wir die Berufspflichten, die in das Unternehmen einziehen. Hier gibt es viel zu tun und wir bringen weiterhin unsere Expertise aus der Praxis ein. Und … (lächelt)… besonders wichtig sind uns die großen Strategiethemen. Wir greifen Themen auf, die die Unternehmensjuristen, unsere Mitglieder, besonders bewegen.

Steffen Schaar: Zum Beispiel?

Frau Ebner: Die Digitalisierung und damit einhergehend LegalTech. Die Digitalisierung krempelt im Moment alles um. Man sieht es in sämtlichen Bereichen, nehmen Sie den Bereich Fintech (Anm. der Redaktion: financial services & technology), vor ein paar Jahren kam PayPal. Alle waren erstaunt, wie das funktionieren kann. Jetzt reden wir über Blockchains und Bitcoins. Dabei geht es vor allem um die Ausschaltung von Intermediären. Im Bereich der Rechtsabteilungen kommen jetzt verstärkt die LegalTech-Lösungen auf den Markt.

Steffen Schaar: Die Rechtsabteilungen wachsen und gewinnen an Bedeutung in den Organisationsformen agiler und erfolgreicher Unternehmen. Wie spüren Sie denn, als Verbandsvertreterin, in der Praxis die Akzeptanz und Wertschätzung Ihrer Mitglieder oder auch der Compliance im Unternehmen?

Frau Ebner: Ich glaube das Image des Syndikusrechtsanwaltes im Unternehmen hat sich sehr geändert. Aber Sie haben Recht: auch die Aufgaben in den Unternehmensabläufen haben sich sehr gewandelt. Nehmen wir das Beispiel Compliance, die Skandale sind bekannt. Die Erkenntnis wuchs, nicht nur das Recht ins Unternehmen zu tragen, sondern noch mehr darauf zu achten, dass die Compliance die Unternehmenskultur durchdringt und bestimmt. Wenn wir jetzt diese Entwicklung weitersehen, dann ist es so, dass durch Compliance- Bewußtsein, durch erhöhte Regulierungsmaßnahmen, durch Gesetze aus der EU und Deutschland der rechtliche Bereich immer wichtiger wird. Während es noch in vielen Rechtsabteilungen so ist, dass der Unternehmensjurist als Beratungsfunktion im Unternehmen wahrgenommen wird, eben als Legal-Support-Funktion, so rückt er jetzt immer mehr als Mitgestalter im Unternehmen vor. Interdisziplinarität ist das Stichwort, das auch die Digitalisierung so stark begleitet.

Steffen Schaar: Die Digitalisierung braucht Trendsetter, Vorreiter, überzeugende Beispiele. Liebe
Frau Ebner, als solches habe ich Sie in vielen Publikationen und Vorträgen erlebt. Und doch …die leidige Praxis: Professor Susskind hat diese in seinem drei Phasen- Modell „denial – resourcing – disruption“ beschrieben. Die „denial-Phase“ - jammern wir zu viel? Oder haben Sie andere Erfahrungen?

Frau Ebner: Nein, Sie haben völlig Recht. Ich erlebe auch in den Gesprächen sehr stark, dass gewisse Ängste da sind. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass noch zuviel unbekannt ist. Für manche Kollegen besteht der Einsatz von Legal- Tech aus Outlook und Excel. Man liest im Moment häufig in der Zeitung von digitaler Transformation, Industrie 4.0. Dass es 50 % der Stellen in 20 Jahren gar nicht mehr gibt. Angst? Panik? Stimmungsmache? Ich bin der Meinung, dass LegalTech die Rechtsberatung effektiv steigern kann und auf der anderen Seite zu einer Verlagerung unserer Aufgaben führt. Man muss bereit sein, diese Verlagerung, diesen Wandel mitzumachen. Der Rechtsanwalt 4.0 ist jetzt gefragt.

Steffen Schaar: Die Agilität, die Beweglichkeit, der digitale Wandel fängt bei jedem Einzelnen an. Sie nennen es LegalTech, bilden Fachgruppen um die Themen aufzugreifen und in der Praxis strukturiert in den Organisationen zu verankern. Wie können sie als BUJ diese Visionen an die Unternehmensjuristen in deren täglicher Arbeit vermitteln?

Frau Ebner: Das Herzstück unseres Verbandes sind die Fachgruppen und Regionalgruppen: Dieses starke verlässliche Netzwerk, dieser Austausch von Know-how, den wir schaffen. Deswegen haben wir auch z. B. die Fachgruppe Digitalisierung und die Fachgruppe LegalTech ins Leben gerufen, die diese Themen praxisnah greifbar machen. Unsere Stärke liegt darin, dass wir so unglaublich breit und branchenübergreifend aufgestellt sind. Wir haben General Counsels, Legal Counsels und Compliance Officer, u.v.a. bei uns als Mitglieder; jüngere als auch erfahrene Kollegen, die ihr Know-how entsprechend einbringen. Sie arbeiten mit Begeisterung in unseren Fach- und Regionalgruppen und vernetzen sich - neben dem fachlichen Austausch - auf unseren Summits. Durch diesen Dialog und Erfahrungsaustausch haben wir auf der einen Seite dieses Gespür am Puls der Zeit zu sein und auf der anderen Seite bekommen wir Feedback, was unsere Mitglieder eigentlich im Moment interessiert. Man kann sagen: Kommunikation ist unser Herzstück! Der kompetente fachliche Gedankenaustausch in den Fachgruppen ist die Wurzel der Begeisterung und der Grund für viele im BUJ zu sein. Ich selber bin Mitglied der Fachgruppe Berufsrecht, der Fachgruppe LegalTech und der Fachgruppe Digitalisierung, um entsprechend auch an diesem Puls dran zu bleiben und zu erfassen wie wir mitgestalten können. Das Besondere an unserem Verband ist es, dass wir dadurch als Experten und Anwälte aus der Praxis wahrgenommen werden. Wer kann besser als wir der Politik sagen, was die Praxis braucht. Wir sind das ideale Bindeglied zwischen Praxis und Politik. Das haben wir unter Beweis gestellt, in dem wir das Syndikusrechtsanwaltsgesetz auf den Weg gebracht haben und das werden wir wieder bei der Digitalisierung und bei LegalTech mit Überzeugung tun.

Steffen Schaar: Jetzt verstehe ich auch den Grund Ihrer neuesten Studie, die sie als BUJ auf den Weg gebracht haben: „Digital, Economy und Recht“. Sie waren dabei von der positiven Einstellung und Aufgeschlossenheit der Befragten überrascht. Subjektiv erleben wir ja eigentlich etwas anderes. Glauben Sie Ihrem Bauchgefühl oder Ihrer eigenen Studie?

Frau Ebner: Selbstverständlich glaube ich unserer Studie. Natürlich erleben wir gewisse Ängste, was die Digitalisierung angeht: Wird mein Arbeitsplatz wegfallen, wie werden sich diese Änderungen auf mich persönlich auswirken? Aufgrund der vorher zitierten „denial-Phase“ war ich auch ein bisschen unsicher, ob die Rechtsabteilungen schon so weit sind, dass sie sagen, wir begreifen es als Chance, als Herausforderung, wir wollen es mitgestalten. Aber Wandel kommt auch durch Erkenntnisse. Das Tolle ist nun mit der Studie zu erkennen, dass man über unseren Verband eben diesen Wandel mitgestalten kann. Das haben wir uns auch als Aufgabe gesetzt, zu sagen, wir wollen den Wandel mitgestalten, helft uns, gebt uns euren Input. Dann können wir das entsprechend umsetzen.

Steffen Schaar: Im Dialog die Digitalisierung in den Unternehmen strukturübergreifend bei den Mitarbeitern zu verankern, transparent, compliant und interdisziplinär - das ist eine Kernthese von Enterprise Information Management. In der Praxis heißt dies, in der administrativen Verantwortung der Bereiche gemeinsam digitale, transparente, sichere und integrierte Abläufe zu schaffen. Kein Tunnelblick mehr! Wie nehmen das die Mitglieder an?

Frau Ebner: Das kommt immer auf den einzelnen Menschen an. Derjenige, der gewohnt ist im Team und interdisziplinär zu arbeiten, der offen umgeht, der offen für neue Themen ist, der wird auch im Unternehmen Erfolg haben. Er wird entsprechend diese Offenheit widerspiegeln und interdisziplinär arbeiten. Es gibt aber auch noch die Kollegen, die sich in ihrem eigenen Büro vergraben und sagen: "Ich mache jetzt nur meine rechtliche Beratung." Mein Modell vom Rechtsanwalt 4.0 sieht anders aus und anders wird es nicht mehr funktionieren. Nur durch eine enge interdisziplinäre Verzahnung mit dem Business von Anfang an, mit allen Bereichen insbesondere mit der IT kann man entsprechend bestehen. Andererseits muss genauso vom Business gesehen werden, wie wichtig die rechtliche Beratung, die Mitgestaltung ist. Denn aufgrund der immer höher werdenden Regulierung wird es auch an den Stellen ohne den rechtlichen Bereich schwierig werden, die neuen Geschäftsmodelle und Produkte zu implementieren.

Steffen Schaar: Sie sprechen mir aus der Seele. Als Initiator und Jurymitglied motivieren und prämieren wir Organisationen mit dem DiALOG-Award „Excellence with EIM“ für nachhaltige Informations- und Wissensmanagementlösungen. Im letzten Jahr war erstmalig ein Projekt aus dem Legal Bereich einer der Preisträger: „Einführung einer weltweiten eAkte in der Vertragsorganisation bei Henkel“. Das bestätigt Ihre Ansätze. Und trotzdem, diesem Trend schließen sich noch zu wenige an. Ich habe das Gefühl, da fehlt noch eine Initialzündung. Vielleicht diese: der Wirtschaftsnobelpreis 2016 ging an zwei Vertragstheoretiker, Bengt Holmström und Oliver Hart!?

Frau Ebner: Vertragstheoretiker, und das finde ich jetzt das Wichtige an dieser Stelle, haben diesen Nobelpreis für Wirtschaft gewonnen. Das zeigt in welche Richtung es geht.

Steffen Schaar: Der richtige Zeitpunkt mit Ihnen den EIM Kompass zu gestalten. Vielen Dank schon jetzt für Ihre klaren Botschaften. Es ist eine Aufgabe der Zeit, mit Weitblick, Kompetenz und Kommunikation die Herausforderungen anzunehmen. Welche sehen Sie dabei in Ihrem Fokus?

Frau Ebner: Das wissen Sie, wenn man jetzt unsere Studie zur Hand nimmt und sich anschaut, welche Rechtsgebiete wichtig werden: Das ist neben Datenschutz, die IT- Sicherheit, Haftungsfragen, Know-how-Schutz u.s.w. Das sind jetzt nicht die typischen Themen, die wir vor 20 Jahren beraten haben, sondern es sind die neuen Themen der Digitalisierung, der strukturellen und vor allem so agilen Veränderungen, die mit reinkommen. Wo finden diese Rechtsbereiche Anwendung? Am Produkt selber, am Geschäftsmodell selber. Deswegen müssen wir uns an diesen Stellen, diesen Bereichen operativ breit aufstellen und entsprechend das Unternehmen mitnehmen.

Steffen Schaar: Gibt es vom BUJ präferierte Instrumente oder anders gefragt ist die „Grundausbildung“ der Juristen auf die digitalen Fragestellungen ausgerichtet? Ist das Thema IT überhaupt verankert, ist das Thema Wissensmanagement positioniert?

Frau Ebner: Das ist eine sehr wichtige Frage. Was sind die zukünftigen Skills, die Juristen haben müssen? Das fängt in der Uni an. Ich denke an meine Schwester, die Architektur studiert hat. Sie musste gleich an der Uni den Umgang mit CAD-Programmen lernen. Das war auch Einstellungsvoraussetzung für sie. Ich glaube genauso brauchen wir digitale Juristen, die digital denken. Das muss in der Uni anfangen. Mit der LegalTech Fachgruppe wollen wir uns jetzt positionieren, Lösungen anschauen und einen Überblick schaffen. Was gibt es für Möglichkeiten, wie können wir den Austausch zwischen den Legal- Tech Herstellern und den Unternehmen so optimieren, dass da auch Produkte dabei rauskommen, die für uns als Unternehmensjuristen einsetzbar sind. Aber wie gesagt, wir müssen bei den entsprechenden Skills der Juristen ansetzen. Wir müssen vielleicht auch Universitäten noch stärker darauf fokussieren, die Digitalisierung in alle Bereiche ihrer Lehre aufzunehmen. Dazu gehört auch die Rechtswissenschaft. Wichtig ist außerdem der Charakter des einzelnen Mitarbeiters. Als ich anfing, habe ich einen sehr guten Vortrag gehört, worum es geht: People – People – People. Das hat sich ganz stark bei mir eingeprägt. Das ist nach wie vor ein Thema, selbst wenn wir von "m-to-m" (Anm. der Redaktion: machine-to-machine) reden, reden wir noch von "Mensch zu Mensch".

Steffen Schaar: Sehr gut. Sie haben auch in Ihrem Beitrag gesagt, wir müssen uns neu erfinden. Sie meinen damit schon sich, uns…?

Frau Ebner: Jeder muss sich neu erfinden und das gilt auch für den Unternehmensjuristen. Aber ich glaube auch, dass es im Wesentlichen auf den Faktor Mensch und die Kommunikation zwischen den Menschen ankommt und dass man offen für Neues ist. Ich denke da an die Weberaufstände. Man darf nicht Altes bewahren, man muss mitgestalten und vorangehen. Deswegen haben wir als Verband dieses Thema gewählt. Denn das ist etwas, das jeden im Moment in verschiedenen Konstellationen bewegt. Den einen Älteren vielleicht ein bisschen weniger, der noch nicht mal E-Mail nutzt, aber die Generation, die die Wirtschaft voranbringt.

Steffen Schaar: Nochmal zurück zu den beiden Wirtschaftsnobelpreisträgern. Die Presse, die diese Ehrung beschrieben hat, spricht von einer Verhaltensrevolution, die notwendig ist. Mehr Motivation in den Vertrag, macht nicht Verträge zu Knebeln nach dem Motto “noch günstiger, noch billiger, noch schneller“, sondern formuliert Ziele: InTime – in Quality – inBudget. Eine Verhaltensrevolution, also aufwecken, denn es geht auch anders. Gehen Sie mit?

Frau Ebner: Ja, eine Verhaltensrevolution brauchen wir bestimmt. Wir müssen umdenken. Wir müssen uns von den wiederkehrenden Aufgaben, im Bereich Standardverträge lösen und sagen, das können wir sehr gut an entsprechende LegalTech Produkte abgeben: Vertragsanalyse, Kommentierung und Ähnliches. Wir müssen uns neu orientieren und unser Verhalten entsprechend ändern. Bei den schwierigen Themen, wo es auf unsere Erfahrung ankommt, wo es vielleicht auf Verhandlungsgeschick ankommt, da müssen wir uns entsprechend fokussieren und unserem Business helfen. Für den einen ist LegalTech Outlook und Excel, die anderen begreifen es als E-Discovery, Daten- oder Informationsmanagement. Für mich ist das schon fast wieder LegalTech von gestern. LegalTech von morgen, das ist das, was ich künstliche Intelligenz nenne. Software, die in der Lage ist, maßgeschneiderte Verträge, Abläufe, das Vertragswerk selber, den Inhalt, die Klauseln zu bearbeiten. Man gibt zum Beispiel ein: Man möchte einen Einkaufsvertrag haben, mit den Konditionen, über den und den Gegenstand, mit dem und dem Land. Und am Ende kommt ein fertiger Vertrag heraus. Am Anfang meiner Karriere war es so, dass ich mit dicken Verträgen arbeiten musste und ich vom Business hörte: Sagen Sie mal Frau Ebner, können Sie das nicht auf drei Seiten machen? Ja, aber man hat immer alles mit abgewogen, jede Eventualität mit reingenommen. Aber ich glaube, dass es in Zukunft wesentlich einfacher gehen wird. Wir können uns dann auf die wirklich wichtigen Themen konzentrieren. Dafür muss aber die Bereitschaft da sein. Das ist die Verlagerung der Aufgaben, von der ich gesprochen habe.

Steffen Schaar: Einkaufsexperten sagen den ehrbaren Kaufmann gibt es nicht mehr. Das ist betrüblich, weil man früher gesagt hat, „auf Augenhöhe die Hand geben und dann steht man zu seinem Wort“.

Frau Ebner: Sie sprechen da ganz stark das Thema Vertrauen an. Das ist das Vertrauen, was man an der Stelle hat und braucht, um Verträge zu schließen und um Verträge zu leben. Um diesen Zusammenhang geht es ja auch bei Banken - dass die Bank das Vertrauenssubjekt in der Vertragsbeziehung ist und noch einmal Geldflüsse überprüft. Wenn ich jetzt nochmal zu dem Rechtlichen an dieser Stelle zurückkommen darf, denke ich an Blockchain und Smart- Contract. Wie entwickelt sich das weiter? SmartContract kennen Sie wahrscheinlich: Verträge, die sich selbst ausführen. Ich glaube, das beste Beispiel für einen SmartContract ist folgendes: ein Smart- Contract löst die Zahlung von alleine aus, wenn das Produkt, das man gekauft hat, beim Käufer angekommen ist. Der Postzusteller macht ein Häkchen, das Produkt ist angekommen. In dem Moment wird die Zahlung angewiesen. Dieses Vertrauen, was man braucht, wird auch gezahlt, wenn ich mein Produkt liefere. Leistung und Gegenleistung.

Steffen Schaar: Die Kompetenz, die Bereitschaft zum Wandel, die Kommunikation, die IT und Werte wie Vertrauen und Verbindlichkeit. Das alles von einem Unternehmensjuristen einzufordern, wäre auf einen Schlag vermessen. Sie haben dafür den Begriff zur Transformation zum Rechtsanwalt 4.0 geprägt. Erklären Sie uns bitte ihren Ansatz?

Frau Ebner: Wir haben ja schon viel über das Berufsbild des Rechtsanwaltes gesprochen und wie ein Rechtsanwalt früher war: mit seiner Kammer, mit seiner Schreibkraft und dann vor Gericht mit seiner Robe. Ich glaube, dass er sich entsprechend gewandelt hat, dass er genauso ein Teil der Industrie 4.0 ist, wie andere auch. Wir müssen uns entsprechend wandeln. Das hängt mit den Skills zusammen, über die wir gesprochen haben. Wir brauchen Anwälte, die sich dem Bereich IT öffnen, die digital werden, die die rechtlichen Kerngebiete der Digitalisierung aufgreifen und auf der anderen Seite auch offen, werteorientiert sind mit und gegenüber dem Einsatz von LegalTech. Das ist das Thema Vertrauen. Ich finde es ganz spannend, wenn man über den Teich nach Amerika schaut. Da ist dieses Vertrauen viel stärker geprägt als bei uns. Ich habe in einer Runde einen Amerikaner erlebt, der mit einer Deutschen verheiratet ist. Er hat alles hier in seinem Handy, über die Cloud, über die Dropbox. Sein gesamtes Büro hat er im Handy. Seine Frau hat alles schön in Papier in Ordnern in ihrem Büro zu Hause stehen. Das ist der Unterschied, natürlich ein bisschen überspitzt von beiden Seiten. Der Amerikaner hat das volle Vertrauen in die IT, während es hier in Deutschland noch nicht gegeben ist, z. B. in die Clouds. Da könnte ja reingehackt werden. Ich glaube, da müssen wir tatsächlich noch diesen gesellschaftlichen Wandel vollziehen. Das kann man nur machen, in dem man sich täglich erlebt und dann irgendwann merkt, ja so viele Sicherheitslücken gibt es nicht. Ich meine, wir regen uns darüber auf, dass die Telekom gehackt worden ist. Früher hat man irgendwelche sensitiven Daten geklaut. Industriespionage gab es schon immer. Ich finde nicht, dass man das jetzt so hoch halten darf. Natürlich ist es wichtig, dass wir IT Sicherheit haben. Ganz klar.

Steffen Schaar: „Hand aufs Herz“ – stellen Sie Ihre wichtigen Unternehmensdaten, mit den Vorstandsverträgen, Ihre Top-Verträge in die Cloud?

Frau Ebner: Ich bin an der Stelle auch ein bisschen deutsch, da ich auch etwas skeptisch bin, was das angeht. Ich würde nicht in jede Cloud gehen, sondern bin der Meinung, dass da schon ausreichende Sicherheitsvorkehrungen stattfinden müssen. Wenn die gegeben sind, dann denke ich auch, dass man da entsprechend hingehen kann.

Steffen Schaar: Ich schließe mich Ihnen an. Wir müssen genau hinschauen, mit IT-Sicherheit auch Vertrauen entwickeln. Rückschläge und Erfahrungen sind die Triebfeder der KVP - kontinuierlichen Verbesserungsprozesse. Wollen Sie mit der Fachgruppe LegalTech und Ihrer Studie diesen Weg beschleunigen? Haben Sie mit beiden Maßnahmen Protagonisten gefunden, die sagen „Ich mache mit“, und war es einfach?

Frau Ebner: Also es war sehr einfach. Wir haben mit CMS Hasche Sigle einen hervorragenden Partner. Die sind ja gerade im Bereich IT sehr stark als Kanzlei unterwegs. Eine wirklich richtig repräsentative Studie, die sich mit der Digitalisierung in der Rechtsabteilung beschäftigt, gab es noch nicht. Wir wollten uns anschauen, wie es sich auf die Arbeitsabläufe auswirkt, auf die Rechtsgebiete und auf die Rechtsberatung. Wir haben über 1.000 Unternehmen befragt und eine Rücklaufquote von knapp 30 %, was in dem Bereich Studien wirklich gut ist. Wir haben Fragen entwickelt, was uns als Rechtsabteilung wichtig ist, welche Themen und Rechtsgebiete: Für über 90 % der Befragten ist es die Datensicherheit, dann kommt die IT-Sicherheit als nächstes und dann der Know-how-Schutz. Wir haben auch dieses wunderbare Ergebnis, dass über 70 % die Digitalisierung als Herausforderung begreifen, sogar 2/3 als Chance. Dies war für uns auch ganz wichtig, um zu sehen, wie tatsächlich der Trend ist. Das hat mich begeistert. Dies war für uns der erste Schritt des Digitalisierungsprozesses. Der zweite Schritt war die Fachgruppe LegalTech und die Fachgruppe Digitalisierung aufzusetzen und mit den Ergebnissen zu arbeiten. In der Fachgruppe Digitalisierung packen wir jetzt die Themen Datenschutz, IT Sicherheit, Vertragsrecht und Haftung an und versuchen diese als Experten umzusetzen. Danach werden wir politische Positionspapiere entwickeln z. B. zur Frage Dateneigentum. Wenn wir uns nochmal die Vertragstheoretiker vornehmen - Hobbes, Locke oder Rousseau - die das Eigentum ins Zentrum gestellt haben, um daraus eine wirtschaftliche Verwertung zu bedienen. Deswegen denken wir die ganze Zeit über Dateneigentum nach. Wichtig ist jedoch die wirtschaftliche Nutzbarkeit der Daten. Das ist jetzt der Wandel, den wir vollziehen müssen. Denn, gibt es ein Eigentum, dann hat man auch nur noch einen beschränkten Zugang und beschränkte Möglichkeiten. Ist es das, was wir in der heutigen Zeit brauchen, oder sind es weitere Nutzungsrechte dieser Daten, um entsprechend daraus das Wissen generieren zu können?

Steffen Schaar: „Daten als virtuelles Gut“, „Wissensmanagement als Wettbewerbsfaktor Nr.1“, „Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts“ – da spürt man schon, irgendetwas ist anders. Die Unternehmenskultur schreit nach den guten alten Werten. Klar und verständlich – welche Hilfestellung können wir dabei von den Unternehmensjuristen erwarten?

Frau Ebner: Wie war das bei meinem Beginn in der Rechtsabteilung bei Siemens: Bitte Frau Ebner, für Hausfrauen und Vorstände. Wir mussten immer zuerst ein Executive Summary machen. Im Anschluss konnten wir ausführliche Erläuterungen schreiben. Als ich bei Siemens angefangen habe, stand ich als junge Frau mit Bauhelm und Stahlkappenschuhen vor einer Reihe von Ingenieuren und habe denen erklärt, wie sie ihren Vertrag zu leben haben. Das ist eine Besonderheit, da kann man nicht irgendwie aus dem Elfenbeinturm berichten. Man muss denen ganz klar sagen, wo es lang geht. Die enge Verzahnung mit dem operativen Geschäft, das ist das Asset, was sie als Unternehmensjuristen haben. Deswegen verstehen wir auch viel besser die Geschäftsmodelle.

Steffen Schaar: Ein Plädoyer für die Rechtsabteilungen als starkes Bindeglied der administrativen Steuerung und der Organisation erfolgreicher Abläufe? Der Unternehmensjurist als Business Advisor?

Frau Ebner: Wenn die Juristen oder die Syndikusrechtsanwälte von Anfang an beim Design von Produkten, von neuen Geschäftsmodellen dabei sind, dann können sie entsprechend helfen, eine schnelle Implementierung zu ermöglichen, indem sie ihr Know-how mit einbringen z. B. zu Themen Datenschutz und IT-Lösungen. Entspricht das Produkt den rechtlichen Anforderungen und den IT-Sicherheitsvorgaben? Die Politik denkt immer noch über eine zusätzliche Produkthaftung für Daten- und IT-Sicherheit nach. Das sind alles Themen, die juristisch geprägt sind und die in diese neuen Geschäftsmodelle, in diese Produkte miteinfließen werden müssen. Wir sind in unsere Business Prozesse, in unser Management direkt eingebunden. Das ist unsere große Stärke als Unternehmensjuristen, dass wir keine außenstehenden Rechtsanwälte sind. Dadurch können wir eine maßgeschneiderte Lösung bieten. Viel besser als ein Jurist, der von außen als Berater drauf schaut.

Steffen Schaar: Und wenn Sie eine ITLösung einführen würden, welche wären Ihre zwei bis drei Key Points, auf die Sie absolut nicht verzichten wollen?

Frau Ebner: Es muss einfach und intuitiv sein. Es muss interoperabel sein. Das ist mir ganz wichtig. Es muss kein Selbstzweck sein, sondern es muss Hilfestellung geben, so wie beim Arzt, der das Blut in ein Diagnose Gerät gibt und dann die Werte ankreuzt, die er gerne haben möchte. Mit diesen Daten, die dann sehr konkret und genau sind, kann er dann eine bessere Diagnose machen. Ich möchte gerne eine LegalTech Software haben, die meinen Arbeitsalltag leichter macht. Vielleicht habe ich dann auch mehr Freizeit.

Steffen Schaar: Das wünsche ich Ihnen. Als „Powerfrau“ habe ich Sie kennen und schätzen gelernt. Freizeit im digitalen Sinne oder was fangen Sie damit an?

Frau Ebner: Mehr Zeit zu haben für die Themen, die den Menschen als Ganzes ausmachen, nicht den Menschen im Unternehmen, den Unternehmensjuristen, den arbeitenden Menschen, sondern den Familienmenschen, auch den gesellschaftlichen Menschen. Ich bin auch ehrenamtlich im Vorstand der Berliner Kammer. Bei mir fließen immer Beruf und Mutter sein von drei Kindern mit meinem Familienleben zusammen. Man braucht Muße, Freiräume um sich ethisch und die eigenen Werte zu hinterfragen. In der heutigen Managementwelt ist manchmal alles so hintereinander getaktet, dass man überhaupt nicht die Möglichkeit hat, darüber nachzudenken, wo denn der Weg hingehen soll. Welche Werte vertrete ich eigentlich? Ich finde Werte sind unglaublich wichtig. Man braucht Kernwerte und muss gleichzeitig anpassungsfähig bleiben. Man braucht Kernwerte, die sich durch das Leben ziehen und zwar beruflich, gesellschaftlich und in der Familie.

Steffen Schaar: Eine schöne Überleitung zum Ausgangspunkt unseres Gedankens – Werte statt Funktionen. Frau Ebner, ich danke Ihnen für dieses überaus freundliche und interessante Gespräch. Im Namen unserer Leser wünsche ich Ihnen und dem BUJ viel Kraft und Durchhaltevermögen für die spannenden Herausforderungen im digitalen Zeitalter.

Der Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (BUJ) ist die eigenständige berufsständische Vereinigung für Juristen in Rechtsabteilungen von Unternehmen sowie Institutionen, Verbänden und Körperschaften. Der BUJ versteht sich als das Sprachrohr der Unternehmensjuristen in Deutschland. Sein Ziel ist es, die Interessen der Verbandsmitglieder optimal zu bündeln. Daher engagiert der BUJ sich aktiv in gesellschaftlichen und politischen Debatten, um für die Belange seiner Mitglieder einzutreten, die Stellung des Unternehmensjuristen und Syndikusrechtsanwalts im Unternehmen, in der Wirtschaft und in der Politik zu stärken sowie das Berufsbild des Rechtsanwalts weiterzuentwickeln. Dazu greift der BUJ auch brisante Themen auf, die alle Unternehmensjuristen interessieren, formuliert konkrete Forderungen und vertritt diese aktiv gegenüber Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft. Des Weiteren nimmt er auch die alltäglichen Themen seiner Mitglieder in den Fokus, wie zum Beispiel die Problemfelder rund um die Organisation der Rechtsabteilung.
www.buj.net

Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach war von 2015 bis 2017 als Geschäftsführerin für den Bundesverband der Unternehmensjuristen e. V. (BUJ) tätig. Daneben war die Rechtsanwältin und Politologin seit 2003 bei der Siemens AG beschäftigt, u.a. als Senior Director Legal Government Affairs und Syndikusrechtsanwältin. Seit 2019 ist Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach Leiterin Recht & Politik beim Bundesverband Deutscher Stiftungen und seit Januar 2020 Mitglied des Sprecherrates des Bündnisses für Gemeinnützigkeit. Nach dem Doppelstudium Rechtswissenschaften und Politikwissenschaften in Passau, Potsdam und Erlangen, absolvierte sie ihr zweites Staatsexamen in Nürnberg.

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Autor

Steffen Schaar

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