Mit einem Enterprise Information Management zur smarten Verwaltung

Trendsetter im Gespräch

Veröffenlicht in: DiALOG - DAS MAGAZIN FÜR ENTERPRISE INFORMATION MANAGEMENT | MÄRZ 2016

Interview mit Prof. Dr. Thorsten Riemke-Gurzki, Informationsexperte, Leiter des Global Institute for Digital Transformation (gidt) an der Hochschule der Medien in Stuttgart, Web- und Intranet-Pionier der ersten Stunde.

Steffen Schaar: Herr Prof. Dr. Riemke-Gurzki, „Informationsmanagement, Intranet und Digitalisierung von Geschäftsprozessen“ – man könnte sagen, es sind Ihre Leidenschaften. Als hochgeschätzter Experte und Moderator werden Sie gern zitiert, Sie lehren an der Hochschule für Medien in Stuttgart jungen Menschen den Umgang mit Medien und Wissen und forschen am Global Institute for Digital Transformation. Letztes Jahr begeisterten Sie die Teilnehmer des DiALOG-Fachkongresses mit Ihrem Keynote Vortrag zum Thema „Information - Kommunikation - Menschen“ und deshalb freue ich mich heute sehr, dass Sie für uns im gleichnamigen Magazin in der Rubrik „EIM-Kompass“ Ihre Positionen und Gedanken zu diesem weitreichenden und spannenden Thema offenlegen.

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Zum Einstieg möchte ich Ihnen, wie unseren Gesprächspartnern der letzten Jahre auch, die gleiche Frage stellen:  Enterprise Information Management – wieder nur alter Wein in neuen Schläuchen? Oder wie positionieren Sie die Bedeutung von EIM?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Alter Wein muss ja nicht korken. Es gibt Liebhaber, die gerade für alten Wein größere Summen ausgeben. Wenn wir den Ausdruck einfach einmal übersetzen bedeutet er schließlich nichts anderes als unternehmensweites Informationsmanagement. Ein Thema, das eigentlich schon immer aktuell war und mit neuen Ansätzen wie Big Data nicht an Aktualität verliert. Enterprise Information Management ist aus meiner Sicht eine Management-Strategie. Betrachtet man das Thema mit Berater- oder Herstellerbrille sieht das natürlich ganz anders aus. Hier müssen konkrete Produkte verkauft werden. Und hier muss man sich gegenseitig überbieten. Ich halte es auch nicht für tragisch, dass verschiedene Ideen zu dem Begriff auf Anwender- und Herstellerseite existieren. Wir werden auch in zehn Jahren noch Informationen managen. Und zwar noch viel mehr als heute.

Steffen Schaar: Sie setzen in Lehre und Forschung Trends, erleben die „Gen Y“ oder „digital natives“ live. Wie sehen Sie den Umgang mit Daten und Wissen, was andere mittlerweile meines Erachtens zu Recht als Wettbewerbsfaktor Nr. 1 bezeichnen,  im Spagat zwischen Quantität und Qualität - sorglosem oder bewusstem Handeln - oder noch klarer: Datenschutz versus Social Media?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Ich mag den Begriff „Digital Natives“ ebenso wenig wie „Digital Immigrants“. Unsere Generation – die angeblichen Immigrants – hat denen doch das Internet überhaupt erst gebaut. Wir sind keine Einwanderer. Wir sind die Ureinwohner. Und vielleicht verstehen wir mit Weitblick über den Rand des Internets hinaus besser als die Digital Natives, was dort passiert. Ich sehe den Trend zur Sorglosigkeit in Sachen Datenschutz. Nur wenige fragen sich, wohin die Daten des Messengers überhaupt gesendet werden, über den die privaten und auch die geschäftlichen Informationen laufen. Grundsätzlich brauchen wir aber einen anderen Umgang mit Wissen in Unternehmen. Im Internet haben wir Information und Wissen schnell zur Hand. Es kann aber nicht sein, dass ich wichtige Informationen für meine Arbeit im Internet schneller finde als im Unternehmen selbst.
Nebenbei bemerkt: Haben Sie sich eigentlich einmal darüber Gedanken gemacht, dass Google theoretisch besser wissen könnte, an was Ihre Mitarbeiter aktuell arbeiten als Sie? Die Suche der Mitarbeiter verrät sehr viel.

Steffen Schaar: Wie färbt die Haltung der Gen Y auf die Unternehmen ab? Stellt diese Generation die IT vor neue Herausforderungen im Umgang mit Intranet und Unternehmenskultur oder setzen diese gar ganz andere Prioritäten?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Die spannende Frage ist: Wer färbt hier auf wen ab? Idealerweise profitieren beide gegenseitig. Der größte Fehler sowohl für den gestandenen Profi als auch für den jungen Neueinsteiger ist nicht vom anderen zu lernen. Aus meiner Sicht ist es derzeit so, dass die aktuelle Generation sich einfach weitgehend an die Unternehmen anpasst. In einem Punkt wird aber sehr deutlich, wo die Generation Y ganz anders tickt: Bei den Arbeitswerkzeugen. Sie sind gewohnt mit leichten und flexiblen Software-Werkzeugen aus der Cloud zu arbeiten. Gegen Dropbox, Trello, Facebook und Co. wirken klassische Systeme im Unternehmen wie schwergewichtige Tanker. Viel zu kompliziert, viel zu langsam, viel zu langweilig. Das ist ein Thema, das wir in den kommenden Jahren angehen müssen. Ich sehe in Projekten immer wieder, dass Unternehmen von ihren eigenen Mitarbeitern in Sachen Werkzeugen überrascht werden. Fragen Sie doch einmal Ihre Mitarbeiter nach WhatsApp. Dachten Sie bisher, dass Ihr Unternehmen noch kein Instant Messaging hat?

Steffen Schaar: Sie haben den markanten wie pfiffigen Spruch geprägt „Jeder bekommt das Intranet was er verdient“ – was wollten Sie damit ausdrücken und vor allem was wollen Sie damit erreichen?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Die Frage hinter diesem plakativen Statement ist recht einfach: Warum schaffen es einige Unternehmen spielend leicht neue Lösungen zu etablieren, wohingegen andere sich sehr schwer tun? Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Unternehmen ist ganz einfach die Unternehmenskultur: Wie gehen wir mit externen Herausforderungen im Unternehmen um, wie verändern wir uns selbst? Schwer fällt es Unternehmen, die auf Hierarchie und starre Kommunikationswege Wert legen. Und wer auf dem Gang nicht miteinander redet, der braucht erst recht ein Social Intranet. Unternehmen im Korsett einer konservativen – oder besser ausgedrückt – konservierenden Unternehmenskultur können schwer auf die neuen und sehr schnellen digitalen Herausforderungen reagieren. Aber gerade diese schnelle Änderung und Reaktionsfähigkeit sind ein wichtiger Faktor im Wettbewerb. Unternehmen werden immer mehr dazu gezwungen sich schnell, ja, sehr schnell zu verändern. Schauen Sie sich die Energieversorger an. Diesen Wandel hätte sich kein Manager träumen lassen. Andere Branchen werden folgen. Das Intranet ist für mich ein guter Indikator für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Oder anders: Zeigen Sie mir Ihr Intranet und ich sage Ihnen, ob Ihr Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt ist.

Steffen Schaar: Information Management im Unternehmen, kurz EIM, kommt meiner Meinung nach in den Unternehmen noch viel zu kurz. Es herrscht immer noch „Abteilungsdenken“ und „IT-Denken“. Abkürzungen und Zahlenfetzen wachsen wie Pilze aus dem Boden. Wie würden Sie den Wandel bei der Transformation im Digitalisierungszeitalter angehen? Nach „ECM 2.0“,“Vertrieb 3.0“,  „Industrie 4.0“ folgt nun „Unternehmen 5.0“ oder legen Sie gar noch einen drauf?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Wenn ich ein Hersteller wäre, würde ich noch fünf Begriffe oder Versionen drauflegen. Mit den Begriffen wird versucht entweder Nischen in einem gesättigten Markt zu schaffen oder sie sind der Versuch einen Namen für ein innovatives Produkt zu finden. Die Begriffe gibt es ja eigentlich nicht. Industrie 4.0 war eigentlich ein Projektname, alles andere sind Begriffe 5.0. Ich gebe hier nicht noch einen drauf. Spannend ist aber, dass die Begriffe in Unternehmen ankommen. Das Klammern an Begriffe zeigt mir eigentlich nur, wie weit man von einer eigenen digitalen Strategie oder zumindest von einer Idee dazu noch entfernt ist. Hier hat man bisher nur bei wenigen Unternehmen realisiert, dass jetzt die Zeit gekommen ist, alles auf den Prüfstand zu stellen. Und mit alles meine ich tatsächlich alles: Das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell, seinen Prozessen und der Art und Weise der internen Zusammenarbeit. Nicht mehr und nicht weniger.

Steffen Schaar: „EIM ist Kommunikation“ sagte einer der Protagonisten vor drei Jahren hier im Interview. Schliessen Sie sich dem an, wird „Kommunikation“ überbewertet oder ergänzen Sie das mit …?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: …. digitale Unternehmenskultur. Diese umfasst letztlich auch die Kommunikation. Wir brauchen Mitarbeiter und Organisationen, die Informationen digital verwalten, Mitarbeiter, die sich und ihr Wissen vernetzen und neue Ideen entwickeln, die dem Kunden besser und individueller helfen können. Weil sie es können mit dem Wissen des gesamten Unternehmens, nicht dem eigenen und nicht dem der Abteilung. Wir brauchen eine Kultur, die sich mehr an Start-Ups orientiert, als an den großen, streng entlang der Berichtslinie orientierten Konzern-Tankern. Die traditionellen Tanker sind zu schwergewichtig im digitalen Fahrwasser. Einige amerikanische Unternehmen sind uns in diesem Punkt voraus.

Steffen Schaar: Sie beraten viele Unternehmen in der Erkennung ihrer Informationspotenziale und im Umgang mit Daten. Welche Rolle geben Sie dabei der IT oder liegt der Fokus auf etwas anderem?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Was heute in vielen Unternehmen fehlt ist der CIO mit dem klaren Fokus auf dem zweiten Buchstaben. Kein Kistenverwalter oder Infrastrukturmanager, sondern ein Experte für Informationen und Prozesse – kurz für den digitalen Teil des Business. Das ist ein heißes Eisen, denn das bedeutet, dass der CEO ein Teil seiner Verantwortung abgeben muss. Eines ist sicher: Die IT stellt wichtige Werkzeuge bereit, keine Frage. Die Werkzeuge machen aber kein gutes Unternehmen aus. Es sind die Mitarbeiter und ihre gute Arbeit. Hier kann man vielleicht das berühmte Zitat von Robert Bosch frei für die Gegenwart adaptieren: Das Unternehmen hat keine erstklassige digitale Kultur, weil es gut verdient, sondern verdient gut, weil es eine erstklassige digitale Unternehmenskultur hat. Dazu gehört selbstverständlich auch die faire Bezahlung. Unternehmen werden in Zukunft nicht darum herum kommen transparent, fair und nachhaltig zu handeln. Die IT ist der notwendige Schraubenschlüssel dafür, aber letztendlich nicht die Fahrt an das gewünschte Ziel.

Steffen Schaar: Damit legen Sie mir eine schöne Abschlussfrage parat. Sie haben sofort ihre Bereitschaft erklärt dem DiALOG-Award „Excellence with EIM“ – dem Nachhaltigkeitspreis für Menschen mit Ideen und Visionen in der Bewältigung von Organisationsaufgaben von Morgen – als Jurymitglied zur Seite zu stehen. Als Initiatoren sind wir sehr stolz, dass Sie Ihre Expertise mit einbringen. Warum raten Sie Mitarbeitern und Organisationen sich um diesen Award zu bewerben, was macht ihn aus Ihrer Sicht so einmalig?

Prof. Dr. Riemke-Gurzki: Es gibt im Bereich der Digitalisierung noch so unglaublich viele Potenziale in Unternehmen. Wir brauchen innovative Ideen für den Vorteil in globalen Märkten – sowohl im Mittelstand als auch in Konzernen. Ich halte es für wichtig Best Pratices und deren signifikante Auswirkungen mit einem Award für andere Unternehmen sichtbar zu machen. Ein Zeichen auch für andere Unternehmen. Und nicht zuletzt: Was gibt es Schöneres für ein Projektteam als eine Auszeichnung, die zeigt, dass man nicht nur das Richtige für das eigene Unternehmen tut, sondern auch im Vergleich zu anderen innovativ ist. Besonders schön finde ich am DiALOG-Award, dass das kleine mittelständische Unternehmen ebenso Chancen auf den Award hat, wie der große Konzern mit einem großen Projektbudget.

Steffen Schaar: Herr Prof. Dr. Riemke-Gurzki das waren sehr interessante Einblicke und Gedanken aus Ihrem Alltag zu diesem Thema. Ich bedanke mich recht herzlich und würde mich sehr freuen, wenn wir Sie mal wieder mit einem neuen Trendbeitrag erleben dürfen. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und vielleicht stimmen Sie mir zu, wenn ich abschließend sage darf: „Informationen schaden nur denen, die keine haben!“

Prof. Dr. Thorsten Riemke-Gurzki ist Direktor des Global Institute for Digital Transformation (gidt) an der staatlichen Hochschule der Medien in Stuttgart. Er beschäftigt sich mit den Themen Digitale Transformation, Digitale Arbeit, Intranet und Informationsmanagement. Er ist Autor und Mitautor einer Vielzahl von Publikationen im Themenfeld Electronic Business, unter anderem der Anwenderstudie „Intranet Themen und Trends“ und des Grundlagenwerks „Unternehmensportale und Intranet – konzipieren, realisieren, betreiben“.
www.riemke.net

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Autor

Steffen Schaar

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