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Abstand ja – Anstand bitte viel mehr!

In über 30 Jahren Berufserfahrung, unzähligen Gesprächen, Verhandlungen und Meetings dachte ich, schon fast alles erlebt zu haben. Corona zeigt Charakter! Es sind nicht nur Stilblüten oder Kavaliersdelikte, die in den letzten Monaten meinen Erfahrungsschatz nicht nur ergänzt, sondern manchmal schon mächtig erschüttert haben.
Vor Corona hatten wir „für Digitalisierung keine Zeit! Wegen wirtschaftlichen Erfolges keine Zeit und Ressourcen, denn jede Minute, jeder Mitarbeiter wurde anderweitig gebraucht.“ Zu diesem Schluss kamen Umfragen noch vor wenigen Monaten. Das Business war überhitzt. Heute hier, morgen da, koste es was es wolle! Diesen Eindruck erweckten übervolle Flughäfen und Züge sowie unzählige Meetings -  am Ende war es Stress pur!

„Jetzt ist Zeit für Digitalisierung!“ ist derzeit in allen Medien zu lesen. Corona macht‘s möglich? Homeoffice ist toll, Meetings von früh bis abends im Schlabberdresscode. Die Mehrheit findet’s cool, postet unzählige Bilder mit dem Eindruck „alles easy“! Dabei kämpfen jetzt viele Branchen sprichwörtlich ums Überleben der Arbeitsplätze. Finden wir das richtige Maß aus Überhitzung und Abkühlung, zwischen medialen Unpersönlichkeitsgesprächen und emotionalem Dialog mit Leidenschaft. „Reden ist das neue Umarmen“ – damit sind aber keine Mails, Tweets oder WhatsApp Nachrichten gemeint.

„Digitalisierungsprojekte sind Wohlstandsprojekte“, las ich neulich in einem Beitrag. Da überkommt mich ein Unwohlsein, das sich noch weiter steigert, wenn ich die vielen Gespräche der letzten Wochen resümiere. In denen ging es darum, dass gerade für diese Digitalisierungsprojekte, nämlich für effizienteres, transparenteres und verbindliches digitales Arbeiten, kein Geld und keine Investitionen mehr da sind. „Leider hat der Vorstand entschieden alle Projekte aufgrund der finanziellen Situation um Monate, Jahre zu verschieben…“ – zwischen Verständnis und kollektivem Jammern liegt irgendwo die Wahrheit.

Ist das die Digitalisierung, die Transformation für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands, die wir als Gesellschaft und in den Unternehmen branchenübergreifend brauchen? Da brechen die StartUps nach Corona weg, viele innovative Technologien sind greifbar, aber kommen praktisch nicht in den Büros und Etagen der Unternehmen an. Von digitaler Effizienz und transparenter Verbindlichkeit im unternehmensweiten Wissens- und Informationsmanagement sind wir weit entfernt, von Umweltaspekten und Papierbergen ganz zu schweigen und was tun wir? Wie immer Jammern und Wegducken?  - darin sind wir jetzt schon wieder Weltmeister!

Und ja, ich vermisse die direkte, vertrauensbildende Atmosphäre im Interessenten-, Kunden- und Partnergespräch. Digitalisierung braucht digitales Vertrauen, das ist Fakt! Spüren Sie per Teams, Zoom, GoToMeeting oder wie sie alle heißen, die Emotionen, die Leidenschaft Ihrer Gesprächspartner, die wichtige Vertrautheit um exzellente Lösungen zu erreichen? Wie sie für „SIE“ kämpfen, sich abrackern, sich einsetzen? Sind es nicht gerade diese Nuancen, die in herausfordernden Situationen notwendig sind, um langfristige Partnerschaften zu finden? Sollten nicht diese Nuancen verträglich gestaltet sein, um alle für diesen digitalen Weg zu motivieren oder gar zu begeistern? Anstand und gutes Gespür sind die Grundlagen vertrauensvoller partnerschaftlicher Zusammenarbeit, ob in Verhandlungen, in Partnerschaften oder im Business-Umgang mit den Kollegen, Lieferanten und Kunden.

Es macht mich sprachlos und enttäuscht mich, wenn ein Einkäufer in einem Verhandlungsgespräch per Websession durch unfreundliche Einschüchterung versucht seine Position im Sinne seines „Preisvorteils“ zu positionieren und dabei gar nicht merkt, welchen Schaden er für eine gute Business-Beziehung anrichtet. Wir wissen, der „Preis ist heiß“, aber ist eine langjährige und ehrliche Partnerschaft nicht viel wertvoller? Meine Oma sagte immer: „Beziehungen sind wie Porzellanschüsseln – lässt du sie fallen, zerbrechen sie.“ Sie hatte damit wieder einmal eine Weisheit auf Lager, auf der gute Geschäftsbeziehungen gedeihen können. Sicher war der geschilderte Fall ein Missverständnis und wäre in einem direkten Gespräch von Mensch zu Mensch, mit dem tiefen Blick in die Augen, erst gar nicht zum Beziehungskiller geworden. Aber er zeigt, wie schnell unsere Haltung und Anstandskultur, auf Kleinigkeiten zu reagieren, zu einer Fehlinterpretation bis hin zu Misstrauen führen kann. Die Folge sind falsche Entscheidungen, eine Trennung oder Nichtentstehung einer Partnerschaft. Im wahren Leben wie im Business

In diesem Sinne freue ich mich ganz persönlich auf viele neue menschliche Kontakte und digitale Erlebnisse, um mit Ihnen gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Ich freue mich auf einen ehrlichen und persönlichen Händedruck der Wertschätzung und des Respekts, auf gute Gespräche über die Chancen der digitalen Transformation und auf den tiefen Augenkontakt in menschlicher Vertrautheit einer gemeinsamen Entdeckungsreise!

Ihr nostalgischer Business-Träumer
Steffen Schaar

Editorial